Ursprünglich auf Polyneux gepostet.
Heute schon über Sexismus in Videospielen gelesen? Nein? Dann wird es aber höchste Zeit!
Noch bevor dieses Thema große Wellen schlug, habe ich mich durch ein Spiel geklickt, das sich ausgerechnet mit der Unterdrückung von Frauen beschäftigt hat. Purer Zufall, glaubt mir. Aber vielleicht hat ja der Eine oder Andere gerade durch die Diskussion Lust darauf bekommen, sich einer solchen interaktiven Sci-Fi-Geschichte zu widmen. Dieser Tage nagt schließlich an vielen von uns nicht nur die Frage, ob blanke Polygonbrüste den Errungenschaften der Emanzipation im Wege stehen, sondern vor allem, wie wir unser Erspartes möglichst effizient bei den Steam Summer Sales dezimieren können. „Analogue: A Hate Story“ gibt’s gerade für sexy 4,99 € und es lässt sich gemütlich in wenigen Stunden durchspielen. Und auch wenn ich noch an einigen Stellen Verbesserungspotential sehe, kann ich nur jedem empfehlen, einen Blick in die Demo zu werfen. Wenn ihr gerne lest. Aber wärt ihr sonst hier?
Bisher konnte man bei mir beim besten Willen nicht von einer ausgeprägten Vorliebe für Mangamädchen oder Visual Novels sprechen. Visual Novel… den Begriff habe ich gerade zum ersten Mal in meinem Leben verwendet. Das sagt schon alles. Eines schönen, jedoch sterbenslangweiligen Abends genehmigte ich mir trotzdem die „Analogue: A Hate Story“ Demo – und sie fesselte mich so sehr, dass ich direkt die Vollversion in den Steam’schen Einkaufswagen wandern ließ.
Eine gute Demo macht neugierig, und das schafft diese ganz vorzüglich. Denn man tappt erst einmal komplett im Dunkeln. Im wahrsten Sinne des Wortes, reist man doch in einer nicht gerade nahen Zukunft durch das finstere Weltall, um ein kürzlich entdecktes, menschenleeres Raumschiff zu erforschen. Ursprünglich stammte es aus Südkorea und war vor mehreren Jahrhunderten das erste, das die Erde verließ, um neue Galaxien zu besiedeln. Der Kontakt brach damals ab und deshalb ist es nun meine Aufgabe, mit Hilfe des Bordcomputers herauszufinden, was vorgefallen ist. Dabei stehen zwei A.I.s zur Verfügung: Hyun-ae und Mute. Sie sind charakterlich sehr verschieden und können sich nicht leiden, soviel darf verraten werden.
Wie spielt man ein Spiel, das eigentlich ein Buch sein könnte? Man sieht entweder das übergeordnete Terminal des Bordcomputers vor sich, um vorgegebene Befehle einzutippen, oder kommuniziert mit einer der beiden auskunftsfreudigen virtuellen Damen, die vor einem erscheinen. Aufwändige Grafikspielereien sucht man dabei vergeblich, denn animiert ist hier kaum etwas. Die detailreichen Illustrationen hauchen den beiden Charakteren dennoch Leben ein. Für die Gespräche wird nur die Maus benötigt und sie machen den Hauptteil des Spiels aus. Ansonsten liest man sich durch Schriftstücke der ehemaligen Besatzung, die einen nach und nach darüber aufklären, was vorgefallen ist. Zu den meisten kann man sich dann mit der gerade anwesenden A.I. unterhalten, um weitere Informationen zu erhalten. Die Gespräche spiegeln aber natürlich immer nur ihre subjektive Sichtweise wider und sollten deshalb mit Vorsicht genossen werden. Die aktive Einflussnahme auf die Handlung beschränkt sich auf unterschiedliche Dialogoptionen, wodurch man sich mit den A.I.s gut stellen oder von ihnen distanzieren kann. Dies führt dann zu unterschiedlichen Enden.
Kann das Spaß machen? Kann es. Genau so viel Spaß, wie ein gutes Buch zu lesen. Und man fühlt sich im Vergleich dazu sehr involviert, auch wenn man weit davon entfernt ist, großen Einfluss auf die Handlung zu nehmen. Für mich war es jedenfalls eine interessante neue Erfahrung.
„Analogue: A Hate Story“ sieht in seiner minimalistischen Aufmachung dennoch sehr schick aus und die Texte werden einem in handlichen Häppchen vorgesetzt. Hier wurde sich offensichtlich Mühe gegeben, eine zeitgemäße Umsetzung zu kreieren, die einen nicht durch verpixelte Textwüsten abschreckt. Aber natürlich ist das Drumherum bei weitem nicht so wichtig wie die spannend vorangetriebene Geschichte. Eine gut geschriebene, intelligente, aber auch verstörende Geschichte ist das, die gerade deshalb interessant ist, weil sie sich des Science-Fiction-Settings ohne die dafür üblichen Klischees bedient. Statt um Raumschlachten dreht sich alles um Gefühle, Rollenbilder und gesellschaftliche Zwänge. Was mich daran besonders gefesselt hat, ist, dass man durch die Briefe und Tagebucheinträge auf persönliche Weise Einblick in das Gefühlsleben der Charaktere erhält. Gleichzeitig ist die Hintergrundgeschichte sehr faszinierend, weil die Gesellschaft, die sich auf dem Raumschiff entwickelt hat, ihre ganz eigenen Prinzipien hatte. Alte Traditionen setzten sich auf einmal wieder durch und Frauen hatten sich unterzuordnen. Inspiriert wurde die Autorin zu dieser düsteren Zukunftsvision durch die Joseon-Dynastie im mittelalterlichen Korea.
Zu den vor dem mysteriösen Verschwinden der Besatzung an Bord herrschenden Verhältnissen vertreten die beiden A.I. Damen unterschiedliche Standpunkte: Mute begrüßt die strikten Regeln und steht hinter ihren ehemaligen Vorgesetzten, während die freiheitsliebende Hyun-ae unter dem in Ihren Augen rückschrittlichen System gelitten hat. Lobend erwähnen sollte man hierbei, dass Mute keineswegs ein kuschendes Angsthäschen ist. Sie wirkt sogar selbstbewusster und gerissener als die eher schüchterne Hyun-ae. Als Spieler steht man zwischen den Fronten, denn beide Charaktere wollen einen auf ihre Seite ziehen. Gefühlschaos ist vorprogrammiert, sollte man meinen.
Leider stellte sich der moralische Zwiespalt, in den einen die beiden A.I.s eigentlich bringen sollten, bei mir jedoch nicht ein. Trotz oder gerade wegen der mit viel Tragik gespickten Handlung. Dafür war mir Mute viel zu unsympathisch und ich schlug mich durchgängig auf die Seite von Hyun-ae. Ob das anderen auch so ging? Bin ich deshalb tief in meinem Herzen eine rebellische Hardcore-Emanze? Für mich war der Gegensatz zwischen dem altmodischen und modernen Rollenverständnis der beiden zu krass, so dass ich gar nicht lange überlegen musste, wen ich unterstützen wollte. Sehr schade, denn es wäre mir lieber gewesen, wenn mich das Spiel mehr zum Grübeln gebracht hätte. Ich hätte gerne die eine oder andere Entscheidung getroffen, die richtig schwer fällt – das kam aber eigentlich überhaupt nicht vor. So fühlte ich mich oft als passiver Beobachter eines Dramas, für den es keinen Grund gab, von seiner anfänglichen Sicht der Dinge abzuweichen.
Und noch etwas muss ich bemängeln. Ab einem bestimmten Punkt war es mir nicht mehr möglich, zwischen den beiden A.I.s zu wechseln, was ich aber erst nach einem Blick in die Komplettlösung bemerkte. Ich dachte zuerst, ich mache bloß etwas falsch, irgendein blöder Denkfehler, man kennt das ja im fortschreitenden Alter… aber nein, ich hatte eine der beiden unwissentlich vernichtet. Oops. Für ein Spiel, das stark auf den eigenen Entscheidungen aufbaut und in dem die Sympathie gegenüber den beiden Protagonistinnen im Vordergrund steht, finde ich das sehr unglücklich gelöst. Man wird ansonsten idiotensicher vorgewarnt, wenn man etwas unwiederbringlich zerstören könnte, aber hier hatte man überhaupt nicht die Chance, sich rechtzeitig zu entscheiden. Sehr frustrierend, denn eigentlich hätte ich eine andere Wahl getroffen. Das ist so, als würde man mit einer guten Freundin beim Kaffeekränzchen sitzen und auf einmal klopft jemand an die Tür: „Entschuldigung, ich habe Ihren Mann getötet. Sie wissen schon, weil Sie gerade nicht bei ihm waren… das war ja Ihre FREIE ENTSCHEIDUNG.“
Abgesehen von diesen Dämpfern hatte ich aber eine gute Zeit mit „Analogue: A Hate Story“. Die erste Hälfte war für mich die spannendere, weil man zuerst noch komplett ahnungslos ist und sich jedes bisschen Hintergrundwissen erarbeiten muss. Man kann sich dann schon einige Zeit vor dem Ende zusammenreimen, was zu der Katastrophe an Bord geführt hat. Aber durch die Gespräche mit den A.I.s ist man trotzdem motiviert, dabei zu bleiben, um auch noch die letzten Details zu erfahren. Ein Spiel, in das es sich auf jeden Fall lohnt, hineinzulesen.