Ursprünglich auf Polyneux gepostet.
Oh je, oh je! Es ist Montagmorgen, und damit eigentlich kein Zeitpunkt, an dem ich mich mit finanziellen Problemen auseinandersetzen möchte. Ich habe doch nur schnell zum 3DS gegriffen, um vor dem Aufstehen meinen neu errichteten Campingplatz einzuweihen. Doch dann las ich, dass die Rübenpreise aktuell bei 151 Sternis liegen. Das bereitet mir Kopfzerbrechen. Gestern investierte ich meine gesamten Ersparnisse in Rüben zu je 91 Sternis und reiste dafür sogar in eine andere Stadt, weil dort der Kurs gerade günstig lag. Nun würde es durchaus Sinn machen, sie zu verkaufen, denn 60 Sternis Gewinn pro Rübe sind nicht zu verachten. Aber an einem Montagmorgen? Im Verlauf dieser Rübenwoche wechseln die Preise noch 11 Mal, die Chancen auf einen weiteren Anstieg stehen also gut. Wie sehr würde ich mich ärgern, wenn ich jetzt verkaufe, und morgen 300 Sternis angeboten bekomme! Gehe ich nun auf Nummer sicher oder riskiere ich es, dem verlockenden Verkauf zu widerstehen? Welch ein Dilemma…
Willkommen bei Animal Crossing: New Leaf, dem Spiel, das so oft bloß als relaxte Feriensimulation angesehen wird. Lasst euch aber nicht täuschen, denn es gibt auch die dunkle Seite… ich habe den Weg des Geldes eingeschlagen. Wer will es mir verübeln? Als Bürgermeister muss ich mich inzwischen um eine ganze Stadt kümmern, und die diversen Bauprojekte sind nicht billig. Politik und Korruption gehen irgendwann Hand in Hand.
Während ich über die Rübenpreise nachdenke, kommen mir meine drei doppelten Steam Trading Cards in den Sinn, deren Kursentwicklung ich mir gestern deprimiert angesehen habe, um dann direkt zu beschließen, dass so ein Kinderkram meine kostbare Zeit nicht Wert ist. Das sind Peanuts gegen das, was beim Rübenhandel zu holen ist! Ich spreche hier von Beträgen, die sich im Bereich von mehreren Hundertausend Sternis bewegen! Mein Rübengewinn in dieser Woche entscheidet darüber, ob ich bei Tom Nook mein Haus abbezahlen und mir ein zusätzliches Zimmer einbauen lassen kann. Ein zusätzliches Zimmer bedeutet nicht nur enorme Streetpassing-Prestige, sondern auch… was eigentlich? So genau weiß ich das gar nicht, aber ist es nicht erstrebenswert, eine möglichst große Villa sein eigen nennen zu können? Und das kostet nun mal Geld. Geld, das zwar von den Bäumen fällt, aber nicht in solchen Massen, dass es meinen Ansprüchen genügt.
Soll ich nun also die Rüben verkaufen…? Um sich mit solch existenziellen Fragen auseinander zu setzen ist es um neun Uhr morgens für eine Nachteule wie mich definitiv zu früh. Ich drehe mich grunzend zur Seite, verlasse den Laden und bringe eine frisch gefangene Zikade ins Museum. Dort wird sie von einer mir in dem Moment vom Wachheitsgrad nicht unähnlichen Nachteule namens Eugen als Spende entgegengenommen. Diese Zikaden gibt es übrigens erst seit dem 1. Juli… und sie gehen mir jetzt schon gewaltig auf die Nerven mit ihrem Gezirpe. Auch die Natur hat ihre Schattenseiten. Jeden Monat kann man andere Insekten und Fische fangen, denn Animal Crossing ist natürlich auch in seinem neuesten Ableger seiner Echtzeit-Philosophie treu geblieben. Die Läden haben feste Öffnungszeiten, die Umgebung verändert sich je nach Jahreszeit und wenn sich ein Nachbar mit dir um 15:00 h verabredet hat, dann solltest du tunlichst pünktlich zu dieser Uhrzeit eine Kaffeepause einlegen, um den 3DS zu starten. Ja, man beginnt unweigerlich seinen Tagesablauf an das Spiel anzupassen.
Seit dem ersten bei uns erschienen Animal Crossing Teil für den Gamecube hat sich viel in der Spielewelt verändert. Wir haben erlebt, wie Browsergames aufkamen und dann zu Facebookgames wurden, bei denen es irgendwann nur noch anstrengend war, in Echtzeit reagieren zu müssen. Mein Weizenfeld wird heute Nacht um 3:00 h fertig, soll ich dafür extra länger aufbleiben? Oder mir gar den Wecker stellen? Obwohl man nicht gewinnen kann, verleiten diese Spiele einen dazu, sein Leben für sie einzuschränken, denn man plant irgendwann um die vielen kleinen Termine herum, die sie einem aufs Auge drücken. Und sei es nur, dass man ständig ein Browserfenster im Hintergrund offen behält, das man öfter als nötig anklickt, um zu überprüfen, ob die drei Stunden nicht doch schneller als angekündigt vergangen sind. Wie alte Leute, die mehrmals kontrollieren, ob sie den Herd ausgemacht haben. Kein Wunder, dass diese Spielmechanik inzwischen nicht mehr den besten Ruf genießt.
Was macht Animal Crossing anders, weshalb fühlt man sich dort trotz Echtzeit so frei? Es mag zwar eine „Lebenssimulation“ sein, aber es geht nicht ums Überleben. Egal was man tut und wie viel Zeit man sich lässt, in dieser Welt kann man eigentlich nicht scheitern. Und das nimmt den unangenehmen Druck aus dem Echtzeit-Prinzip, den man inzwischen bei fast allen anderen Spielen dieser Art hat. Die Aufgaben, die es gibt (das Museum bestücken, sein Haus ausbauen, sich mit den Nachbarn anfreunden) kann man nicht vergeigen. Selbst wenn ich die Geburtstagsparty von meinem Nachbarn, einem zutiefst griesgrämigen Albinoaffen, verpassen würde, wäre das kein Weltuntergang. Und jeder Spieler sucht sich das Thema aus, das ihn gerade am meisten interessiert.
Damit wären wir wieder bei meinen Finanzen. Während man anfangs noch Muscheln am Strand sammelt, um sie zu verkaufen (wie putzig…), und sich später mit Fischen und Insekten über Wasser hält, ist das ganz große Geld erst mit der Rübenspekulation zu holen. Man kauft seine Kiste zu einem möglichst günstigen Preis voll mit der weißen Pracht, um sie innerhalb einer Woche möglichst gewinnbringend wieder zu verkaufen. Ja, ein bisschen fühlt man sich dabei wie ein zwielichtiger Drogenbaron. Da das System auf purem Zufall basiert, kann man die Preise nicht beeinflussen. Was hilft sind also Glück und vor allem gute Freunde, die einen nicht dafür hassen, dass man sie zwei Mal pro Tag daran erinnert, in ihrer Stadt die Rübenpreise zu überprüfen.
Natürlich ist es damit nicht getan, denn ich möchte auch an den Tagen Geld verdienen, an denen die Rübenpreise im Keller sind. Eine Taktik, wegen der ich mich inzwischen ein wenig schlecht fühle, und die ich deshalb wohl bald wieder aufgeben werde, ist folgende: Ich verkaufe doppelte Fossilienfunde, die ich bereits dem Museum gespendet habe. Während ich beim Verkauf an die Händler etwa 4.000 Sternis verdienen könnte, geben mir meine Tier-Nachbarn mindestens das Doppelte dafür. Es gibt nämlich die Möglichkeit, Items wie in einem Auktionshaus anzubieten. Sobald ein interessierter Kunde in der Nähe ist, dränge ich ihn in Richtung meines teuersten Objekts und bewege ihn so zum Kauf. Es fühlt sich ein wenig falsch an… aber es ist schnell verdientes Geld. Ich redete mir zuerst ein, dass wir alle davon profitieren würden. Doch wenn ich inzwischen die Häuser meiner Nachbarn besuche, muss ich schlucken. In jedem stehen Fossilien, die einen Großteil des Platzes wegnehmen und die thematisch liebevoll zusammengestellte Inneneinrichtung stören. Gemütlich ist etwas anderes. Womöglich war ich hier tatsächlich zu geldgierig, weil ich unbedingt das meiste aus dem Verkauf rausholen wollte. Ich sollte mich auf Möbel beschränken.
Solche Dinge passieren, wenn man nur seinen Kontostand im Kopf hat. Das hiesige Postamt hat übrigens auch schon bemerkt, dass ich ein vielversprechender Kunde bin. Sie haben mir neulich eine Taschentuchpackung als Treueprämie zugeschickt. Naja, nicht gerade ein beeindruckendes Geschenk… hat ein bisschen was von Dorfapotheke. Aber gefreut habe ich mich trotzdem. Ich habe extra einen kleinen Raum in meinem Haus mit einem Teleskop und einem Stuhl eingerichtet, ein Skelett in die Ecke gepackt, dem ganzen eine dunkle Farbe verpasst und die Taschentücher dazu gestellt. Das ist jetzt mein gruseliger Spannerraum. Hoffentlich erschrecke ich damit keine kleinen Kinder… beim Streetpass werden jetzt nämlich die eigenen Häuser mit anderen geteilt.
Hach ja, zu geldgierig zu sein, ist nicht gut… der ganze Stress, die Beeinträchtigung der Freundschaften… Wer weiß, vielleicht kehre ich schon nächste Woche dem Kapitalismus angewidert den Rücken zu und setze mich auf die Insel ab, die man inzwischen besuchen kann. Gemütlich am Strand sitzen und angeln… auch das kann ein Ziel sein, das man sich bei Animal Crossing setzt. Und dann ist es tatsächlich wie Urlaub. Der singende Käpten, der einen zur Insel schippert, gehört zu meinen Lieblingscharakteren, und man kann dort neuerdings Minispiele bestreiten, die ziemlich gut gelungen sind. Eine nette Beschäftigungsmöglichkeit, wenn man Besuch hat, denn der Multiplayermodus von Animal Crossing hat mich früher nie sonderlich gereizt.
Wer die Vorgänger gespielt hat, wird sich trotz der Neuerungen schnell in New Leaf zurecht finden, denn vor allem der Anfang ähnelt ihnen sehr. Erst nach und nach kommen die neuen Funktionen hinzu, nach über 100 Stunden habe ich immer noch nicht alles freigeschaltet. Eine weitere Neuerung ist beispielsweise, dass man ab einem bestimmten Punkt Stadtverordnungen erlassen kann. Logisch, dass ich eine allgemeine Preiserhöhung den Umweltschutzbestimmungen vorgezogen habe. Manche Nachbarn murren ein wenig, weil sie nun mehr in den Geschäften bezahlen müssen… aber kommt es nicht letztendlich der Wirtschaft zu Gute, wenn ich als Bürgermeister teurer VERkaufen kann?
Die Möglichkeiten, die man in Animal Crossing: New Leaf hat, sind jedenfalls beachtlich, und ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass es der bisher beste Teil der Reihe geworden ist. Er enthält alles, was ich schon an den anderen Spielen mochte, und setzt noch einen oben drauf.
Meine Hand ist eingeschlafen. Das passiert mir immer, wenn ich im Bett 3DS spiele. Aber wenigstens habe ich mich inzwischen entschieden: Ich verkaufe die Hälfte meine Rüben und behalte die Hälfte für den Fall, dass die Preise in den kommenden Tagen noch weiter steigen. Was für eine Pussy-Lösung, mögen einige nun denken… aber hier geht es nicht um Ehre, sondern um Sternis. Meine frisch verdienten Geldsäcke schleppe ich direkt zu Tom Nook, der so etwas wie mein Vorbild ist. Der hat‘s zu was gebracht! Vom kleinen Laden zum Immobilientycoon! Ich bezahle meine Schulden ab und gebe direkt den Ausbau meines Hauses in Auftrag. Mein Daumen wird langsam taub, aber das musste noch erledigt werden. Der nächste Kredit wird wieder eine große Hürde. Vielleicht jubele ich doch noch einige Fossilien zu Wucherpreisen meinen Nachbarn unter. Als Ausgleich kann ich ja mit ihnen Versteck spielen und ihnen Obst pflücken. Manche sprechen mich schon mit „Sterni-Millionär ZiB“ an… Ich bin kein schlechter Bürgermeister, nur weil ich an die Wirtschaft denke, oder?