13. 05. 2014

Mein DOS lief auf Papier

Ursprünglich auf Polyneux gepostet.

Der Gameboy feierte vor kurzem seinen 25. Geburtstag, und das bedeutet, dass Timelines mit nostalgisch verklärten Lobpreisungen gefüllt werden. Endlich ist sich das Internet einig bei einer Sache: Gut war er, dieser Gameboy! Und wahrscheinlich habt ihr damit sogar recht, ihr, die ihr jetzt von euren kuscheligen Linkkabelsessions und Tetrisrekorden auf dem Schulklo berichtet. Ich kann das nicht beurteilen, denn ich besaß als Kind keine Mainstream-Konsolen. Meine ersten Videospiele liefen auf etwas ungleich Coolerem.

foto_2014-05_pappcomputer+schereUm großartige Erfindungen zu verstehen, muss man die Vorgeschichte ihrer Schöpfer beleuchten. Anfang der 90er lebte ich in einem ungemein inspirierenden Kaff, in dem die Kinder von Bäumen fallen und in vereiste Bäche einbrechen konnten. Genau das, worüber heute Menschen ab meiner Generation bei Facebook wehmütig schreiben, dass es die gute alte Zeit war, in der es noch kein böses Facebook gab. Ich habe das Klischee wahrscheinlich mehr ausgelebt als die meisten von ihnen, denn ich hatte sogar ein Baumhaus. Hin und wieder hielt ich zwar einen Gameboy in der Hand, zum Beispiel den von meinem Cousin während langweiligen Familienfeiern, aber die paar Minuten waren nicht gerade prägend. Vor allem nicht, wenn solche auf mich ziemlich öde wirkenden Titel wie „Jagd auf roter Oktober“ eingelegt waren. Heute glaube ich, dass er das absichtlich gemacht hat, damit ich ihm das Ding schnell wieder gebe.

Neben der Grundschule, Brennesselausflügen und Legobauprojekten hatten eine Freundin und ich genug Zeit, das Universum als Superhelden vor einem auffallend an eine Kreuzung zwischen Darth Vader und Ming erinnernden Schurken zu beschützen. Aber das soll hier nicht das Thema sein. Entscheidend ist, dass uns diese Aufgabe vor technische Probleme stellte. Der Bordcomputer meines Raumschiffes, das, um meine Eltern nicht zu beunruhigen, als mein Bett getarnt war, bestand aus einem karierten Polster. Wenn man sechs Jahre alt ist, gibt man sich damit noch zufrieden, aber irgendwann hatte ich das Gefühl, aufrüsten zu müssen. Problematisch war vor allem die fehlende Mobilität, wenn ich die Basis meiner Freundin besuchen wollte. Schlepp mal ein Polster mit dir herum, das fast so groß ist wie du selber. Außerdem war die Verwechslungsgefahr zu den fliegenden Weltraumdelfinen groß, die ebenfalls als Polster getarnt auf meinem Bett wohnten.

So entwickelten wir handliche Computer für unterwegs, die man wie Laptops zusammenklappen konnte, die aber gleichzeitig auch zur Steuerung unserer Raumschiffe dienten. Wir waren mindestens so visionäre Tüftler wie Steve Jobs oder Bill Gates, nur dass wir mit Pappe, Prittstift und kindersicheren Scheren arbeiteten. Die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. Leider besitze ich die ersten Modelle nicht mehr, aber die letzte erhaltene Version meines selbstgebauten Computers sah so aus:

foto_2014-05_pappcomputer

Auf den ersten Blick zu erkennen ist die wesentlich logischere Anordnung der Buchstaben auf der Tastatur und größtenteils vermiedene Doppelbelegungen. Wer hat dieses dämliche Tastaturlayout damals überhaupt erfunden? Ich ordnete die Buchstaben so an, wie mir meine Lehrerin das beigebracht hatte, denn die hatte von allen Erwachsenen die meiste Ahnung. Auch wichtige Ergänzungen zu klassischen Tastaturen wurden vorgenommen, die Unterstreichungstasten waren mir ein besonderes Anliegen. Damals unterstrich ich ausgesprochen gerne und war deshalb enttäuscht, dass es keine entsprechende Tasten an Computern gab. Unten links konnte dann noch direkt zur Raumschiffsteuerung gewechselt werden, denn eine schnelle Erreichbarkeit dieser Funktion war bei einer Flucht natürlich überlebenswichtig.

Um den Bildschirm herum gruppierten sich diverse Messgeräte, aber hier konnte man auch die bevorzugte Eingabemethode wählen. Zwischen den Klassikern wie Funk (weil der Papa meiner Freundin Funkamateur war und ich Kinder-Walkie-Talkies hatte) und „Y“oystick (Gamepad hatte ich keines und fand es deshalb doof) war auch schon die Gedankensteuerung möglich, erwies sich in der Praxis aber als langweilig, weshalb ich sie nur selten verwendete. Ich wollte ja nicht nur bewegungslos den Monitor anstarren. Nicht im Bild zu sehen ist die Maus, die bereits ohne Kabel und Kugel funktionierte, und deshalb ihrer Zeit voraus war. Als Speichermedium durchgesetzt haben sich bei uns Disketten, was selbstverständlich nicht daran lag, dass Kreise schwerer auszuschneiden waren und meine Freundin einen beeindruckenden Vorrat an bunten Notizzetteln besaß. Unter der Tastatur gab es eine Lasche, in die sich die umweltfreundlichen Papierdisketten schieben ließen.

Das besondere Highlight dieses Computers war allerdings sein austauschbarer Bildschirm. Einfach herausziehen und einen anderen reinstecken. Raubkopien waren nicht nötig (kosteten ja auch immer stolze 10 Pfennig am Schulkopierer), sondern ich malte mir einfach die Software selber, die ich haben wollte. Und das waren nicht wenige. Das Betriebssystem meiner Wahl war DOS, und passend dazu gab es auch Spiele. Meine Sammlung enthielt Fortsetzungen, die bis heute nicht produziert wurden, da kann man sich schon was drauf einbilden! Wo bleibt zum Beispiel Beneath a Steel Sky 2? Da in meinem Freundeskreis aber nur ein paar PC-Spiele bekannt waren und ich von Konsolen wenig mitbekam, war die Spieleauswahl etwas eingeschränkt. Fortsetzungen standen hoch im Kurs und wir entwickelten selber neue Reihen. Die „Vulkania“ Adventures waren besonders beliebt. Weil das damals hip war, baute ich auch einen Virtual Reality Modus ein, der erstaunlicherweise ohne entsprechenden Helm funktionierte. Ich weiß nicht mehr, wie ich das genau technisch umgesetzt habe, aber es hatte viel mit dem Holodeck zu tun. Star Trek hat mich in meiner Jugend mehr beeinflusst, als ich mir das heute zugestehen will. Etwas später fielen mir dann Videospielemagazine in die Hände, und ein Artikel über Doom inspirierte mich dazu, diese eigene Version davon zu programmieren:

foto_2014-05_pappdoom

Das da unten soll übrigens eine Waffe sein. Nein, die Hand ist nicht verkrüppelt. Hmpf. Selber gespielt hatte ich Doom zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht, aber es musste den Erzählungen nach verdammt cool sein. Also brauchte ich es für meinen Computer, und ein paar Fortsetzungen kamen gleich dazu. Wenn ich überlege, wie skeptisch ich heute auf massenhaft produzierte Fortsetzungen reagiere, war ich als Kind erstaunlich unvoreingenommen. Je mehr desto besser!

Den Todesstoß versetzte meinem selbstgebautem Computer ausgerechnet der 486er meines Vaters. Ironie des Schicksals: Anfangs malte ich mir darauf noch mit Paint Bildschirmhintergründe und druckte sie aus, um sie für meinen eigenen Computer zu verwenden. Aber spätestens mit dem Einbau eines Soundblasters und eines wahrhaft futuristischen CD-Rom-Laufwerks lief dann das beige Plastik der Pappe doch den Rang ab. Und ich muss es ja zugeben… die Grafik war vielleicht nicht so ausgereift wie bei mir, aber dafür liefen die Animationen wesentlich flüssiger ab. Die Erinnerung an meinen allerersten Computer halte ich aber in Ehren, denn er war seiner Zeit in vielerlei Hinsicht voraus, und hat meine Liebe zu Videospielen begründet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert