Ursprünglich auf Polyneux gepostet.
Seien wir ehrlich, wir stehen doch alle tief in unserem Innersten auf diesen Retrokram. Selbst wenn wir ihn nicht selber spielen, wird man immer ein ganz kleines bisschen sentimental, wenn man in einem Spiel etwas wiedererkennt, das einen an die eigene Jugend und die ersten tapsigen Zocker-Erfahrungen erinnert. Von einer besonders großzügigen Portion Oldschool-Bonus profitiert Legend of Grimrock, ein grafisch aufgemotztes Action-RPG im Stile von Dungeon Master. Aber auch wenn einem die klassischen Vorbilder nichts sagen, lohnt es sich, diesem sympathischen Spiel eine Chance zu geben. Schon alleine deshalb, weil es nicht einfach nur ein weiterer Diablo-Klon ist. Und wegen der Titelmusik, die ich schon jetzt als mein Lieblings-Theme 2012 nominieren möchte!
Mit vier unerschrockenen Recken muss man ein im titelgebenden Berg befindliches Labyrinth bezwingen, in dem es nicht an Monstern und Fallen mangelt. Skillpoints dürfen verteilt, Zauber erlernt, Items gelootet und Tränke gemischt werden. Alles ganz klassisch also, und auch das Fantasy-Setting wird sicher niemand für seine Innovation loben. Ungewöhnlich – zumindest für unser Jahrzehnt – ist da schon eher die Steuerung, denn man bewegt sich in der Ego-Perspektive durch den Dungeon. Dabei tippelt man Schritt für Schritt vorwärts und es sind nur Drehungen in 90° Schritten möglich. Was erst einmal erschreckend altmodisch klingt, erweist sich als gar nicht störend, denn man gewöhnt sich schnell an die eingeschränkte Beweglichkeit. Und sie hat durchaus ihre Vorteile, denn den Überblick zu behalten ist selbst mit Minimap nicht immer einfach. Die Unterteilung in Kästchen hilft dabei, sich zurechtzufinden. Und die ganz Harten dürfen sich sogar an einem Modus ohne automatische Karte versuchen. Mich mit Karopapier zu bewaffnen war mir dann aber doch eine Spur ZU oldschool.
Die Charaktere werden durch kleine Portraits in der Bildschirmecke dargestellt, die man personalisieren kann. Wie gut das ist! Ein so simples Feature, aber es wertet das Spiel für mich direkt um ein paar Punkte auf, wenn man seinen Kumpels mit Paint lustige Helme verpasst und sie einen dann während des gesamten Abenteuers begleiten. Langweiler können natürlich auch aus einer vorgefertigten Auswahl von 08/15 Fantasy-Models wählen. Unter den Charakter-Portraits werden die ausgerüsteten Waffen angezeigt. Klickt man sie an, wird ein Angriff ausgeführt, der dann wieder aufladen muss. Das kann im Kampf friemelig werden, vor allem für die Zauberer, die sich Kombinationen von Symbolen für ihre Sprüche merken müssen. Klickt man sie in der falschen Reihenfolge an, verpufft die Magie und man verliert kostbare Zeit. Echte Verzweiflung äußert sich bei Legend of Grimrock aber weniger darin, dass man panisch vor Monsterhorden flüchtet, sondern darin, dass man sich mitten in einem lebensfeindlichen Gewölbe splitternackt auszieht und seine Waffen beiseite legt, weil man glaubt auf diese Weise vielleicht noch eine Geheimtür finden zu können. Grimrock ist nämlich sehr rätsellastig, und wer lieber metzeln als erforschen will, sollte sich vielleicht besser bei den Dungeons der Konkurrenz umsehen. Geduld ist nicht von Nachteil.
Die Rätsel sind abwechslungsreich und erfreulich fair gestaltet. Man kann Legend of Grimrock bequem für ein paar Minuten starten, allerdings empfiehlt es sich nicht, mitten beim Erkunden einer Etage eine längere Pause einzulegen. Als ich einmal den Fehler beging, mich einer zur Hälfte erforschten Etage erst Tage später wieder zu widmen, steckte ich fest. Verzweifelt suchte ich jede Wand nach versteckten Schaltern ab, experimentierte mit der Anzahl der in Halterungen steckenden Fackeln und lief in die obere Etage zurück, um möglicherweise übersehene Schlüssel zu finden. Nichts half. So griff ich schließlich zum Äußersten… der Komplettlösung. Das versetzte meinem Ego nicht nur eine bittere Klatsche, sondern sie verriet mir, dass ich die beiden ominösen Edelsteine, die sich mit allerhand anderem Krimskrams in meinem Inventar tummelten, von einer ganz bestimmten Stelle in dieser Etage entwendet hatte. Natürlich, wie konnte ich das vergessen! Hinfort mit dir, Dokument der Erniedrigung, nun bist du nicht mehr von Nöten. Ich eilte zu den beiden verdächtigen Nischen, platzierte die Steine in anderer Reihenfolge und genoss den Anblick der sich aufschiebenden Geheimtür.
Frustmomente sind in Grimrock glücklicherweise sehr viel seltener als Erfolgserlebnisse. Selbst wenn einen das Kampfsystem manchmal nerven kann, bleibt einem immer die Alternative, Gegner einzeln hervor zu locken und durch miese Tricks auszuschalten. Einen mir körperlich und durch seine überdimensionale Keule überlegenen Oger lockte ich beispielsweise in einen Teleporter, um ihn dann jedes Mal aus gebührender Distanz mit einem Pfeilregen zu versehen, wenn er für einen Sekundenbruchteil wieder darin auftauchte. A propos große Gegner! Lobend erwähnen möchte ich zum Abschluss noch den ausgefallenen Endboss, der mich sehr überrascht hat. Die meisten regulären Gegner sind zwar wie bereits erwähnt gängige Fantasykost, sehen aber ebenfalls sehr ansprechend aus, und schaffen es einen hin und wieder richtig zu erschrecken. Die düstere Atmosphäre in den Gängen trägt ihr Übriges dazu bei, einen immer wieder für ein kleines Ründchen nach Grimrock zu locken. Und irgendwann ertappt man sich dann auch in der Realität dabei, dass man automatisch nach Auffälligkeiten im Mauerwerk sucht, wenn man an einer Hauswand vorbei läuft…